Die kosmische A-Klasse - Beobachtung historischer Radioquellen

Wolfgang Steinicke

 

Ausgehend von meinen Artikel über Cygnus A [1] liegt es nahe, die ganze Geschichte der kosmischen A-Klasse zu erzählen. Gemeint sind die historisch ersten diskreten Radioquellen, die einfach nach "Sternbild + A" für die jeweils stärkste Quelle benannt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass niemand diese Bezeichnung „offiziell" eingeführt hat, die Sache verliert sich im Dunkel der ersten Nachkriegsjahre. Mit viel Astro-Archäologie läßt sich eine Liste der kosmische A-Klasse mit insgesamt 16 Objekten zusammenstellen. Als Deep-Sky Beobachter fragt man sich natürlich: was ist visuell davon zu sehen, gibt es Amateuraufnahmen?

 

Entdeckung und Identifizierung der ersten Radioquellen

Der Amerikaner Karl Guthe Jansky (1905-1950) richtete 1932 ein Antennen-Ungetüm auf vier Ford Modell T-Rädern gen Himmel (Abb. 1), wohl mehr um Störfaktoren des Funkverkehrs aufzuspüren [2]. Mit einer Auflösung von 30° entdeckte er dabei eine periodische Strahlung, die er der Milchstraße zuordnen konnte, mit einem Maximum aus Richtung Schütze. Der Krieg brach aus und kein Astronom interessierte sich dafür. Europa war mit der Entwicklung von Radargeräten für die Luftaufklärung beschäftigt. Nur Grote Reber (*1911), ein Amateur aus Wheaton, Illinois, erforschte weiter die kosmische Radiostrahlung [3]. Er baute eine Parabolantenne mit 9 m Durchmesser und konnte 1944, nun mit einer Auflösung von wenigen Grad, drei starke Quellen in den Sternbildern Schütze, Cassiopeia und Schwan lokalisieren: Sagittarius A, Cassiopeia A und Cygnus A (Abb. 2).

Abb. 1 - Karl Jansky und sein "Radioteleskop" in Holmdel, New Jersey.



Abb. 2 - Die Radiokarte von Grote Reber aus dem Jahr 1944 zeigt drei starken Quellen (v. links oben nach rechts unten): Cygnus A, Cassiopeia A und Sagittarius A.

 

Mit den technischen Errungenschaften des Krieges (und Beutestücken wie dem deutschen "Würzburg Riesen") wurden die Engländer besonders aktiv [4]. So fand John Stanley Hey 1946, dass Cygnus A eine Quelle mit kurzen Intensitätsschwankungen ist, was auf eine kleine Winkelausdehnung schließen läßt. Mit dem Engländer John Bolton (Abb. 3) gelangte die Radioastronomie auch nach Sydney und 1948 entdeckte er dort Taurus A, Virgo A und Centaurus A. Mit höherer Auflösung (immerhin schon wenige Bogenminuten) konnte er die Quelle im Stier mit M 1, dem Supernovaüberrest von 1054 identifizieren!

 

Abb. 3 - John Gatenby Bolton (1922-1993), ein Pionier der australischen Radioastronomie.


Jetzt ging es Schlag auf Schlag - ein Wettlauf der Institute in Cambridge (Martin Ryle), Manchester/Jodrell Bank (Bernard Lovell) und Sydney (John Bolton). Ryle, Smith und Elsmore publizierten 1950 den ersten Cambridge Katalog mit 67 Radioquellen [5], darunter auch Andromeda A und Herkules A. Es waren Robert Hanbury Brown und Cyril Hazard, die 1951 die Identität von Andromeda A mit M 31, dem Andromedanebel, zweifelsfrei feststellten. Damit war die erste extragalaktische Quelle identifiziert. Ryle und andere glaubten aber, dass es sich bei den meisten diskreten Quellen um galaktische "Radiosterne" handeln müsse. Um sie zu identifizieren und ihre wahre Natur zu ergründen, mußte die Auflösung aber erheblich gesteigert werden. Hierzu wurden Interferometer entwickelt, wobei mehrere Antennen zusammengeschaltet werden (Apertur-Synthese). Mit der Anlage in Cambridge erzielte Graham Smith eine Auflösung im Bogensekundenbereich. Im August 1951 konnte er die Positionen von Cassiopeia A und Cygnus A sehr genau bestimmen. Am Ort von Cygnus A entdeckte kurz darauf der Cambridge Astronom David Dewhirst, im Besitz eine Mt. Wilson Aufnahme des Felds, einen schwachen sphärischen Nebel von 16.5 mag und 20" Durchmesser mit einer zentralen Verdichtung [1]. Dies konnten Walter Baade und Rudolph Minkowski im September 1951 mit dem 200-Zöller am Mt. Palomar bestätigen. Eine Aufnahme von Cassiopeia A zeigte einen ausgedehnten Supernovaüberrest [6]. Sidney Van den Bergh errechnete 1970 aus der Bewegung der Filamente eine Entstehung um 1667 [7]. Möglicherweise hat John Flamsteed die Supernova am 16. August 1680 als Stern 6. Größe „3 Cas" beobachtet. Tycho's Supernova von 1572 wird übrigens häufig als "B Cassiopeiae" bezeichnet [8], gelegentlich auch als "Cas B", was aber irreführend ist, denn dies ist nicht die zweithellste Quelle in diesem Sternbild!

Weitere starke Quellen wurden 1952 von Bernard Yarnton Mills (*1920) mit dem australischen Interferometer „Mills Cross" gefunden. Bei Ursa Major A (Hanbury Brown 1953) hatte man zunächst M 81 im Verdacht, bis klar wurde, dass die Quelle mit der aktiven Galaxie M 82 übereinstimmt. Als Nachzügler wurde Coma A 1957 mit dem niederländischen 25 m-Teleskop in Dwingeloo entdeckt. Die Tabelle 1 gibt einen vollständigen Überblick der kosmischen A-Klasse. "3C" bezeichnet den Eintrag im dritten Cambridge-Katalog von 1959 [9], die heute gängige Bezeichnung für die stärksten Quellen.

 

Amateurbeobachtungen

Interessant ist, dass die meisten Quellen für Amateure beobachtbar sind. Bei Sagittarius A gewinnt man sogar mit bloßem Auge einen optischen Eindruck (insbesondere am Südhimmel). Was man sieht, ist natürlich nicht die Quelle selbst, sondern nur die Sternwolken Richtung Milchstraßenzentrum. Der eigentliche Kern ist ein Schwarzes Loch, die kompakte Quelle Sgr A*, der man mit "Very Long Baseline Interferometry" (VLBI) zu Leibe rückt.

Doch gehen wir der Reihe nach vor, sprich von den nahen zu den fernsten Objekten. Da ich über Taurus A = M 1 ("Krebsnebel") schon berichtet habe [10], geht es gleich weiter mit Cassiopeia A. Visuell ist hier leider gar nichts drin, bedenkt man, dass 1951 die gesamte Power eines 200 Zöllers nötig war, um spärliche Nebelfetzen auf Rotfilm abzulichten. Ist das Objekt damit auch für CCD'ler gestorben? Weit gefehlt: Gido Weselowski hat gezeigt, dass schon ein 8 Zöller, selbst unter urbanen Bedingungen [11], ausreicht! Gerade ist ihm eine weitere CCD-Aufnahme mit einem 14" SCT gelungen (Abb. 4).



Abb. 4 - Gido Weselowski machte diese bemerkenswerte CCD-Aufnahme von Cas A am 5.11.2001 (14" SCT, ST7E, Deep-Sky Filter).


Über Andromeda A = M 31 brauche ich, angesichts der enormen Publizität, nichts zu sagen. Der Andromedanebel, ist das hellste und mit 2,5 Mill. Lj auch das entfernteste, mit dem bloßen Auge sichtbare A-Klasse-Objekt. Weiter im extragalaktischen Raum kommen wir zu Ursa Major A = M 82, einem Mitglied der M 81-Gruppe in 12 Mill. Lj. Das Objekt ist mit V=8.4mag bereits im Feldstecher zu sehen. Allerdings zeigt sich die besondere Struktur der aktiven Galaxie erst ab 8 bis 10" Öffnung (Abb. 5).

 

Abb. 5 - Ursa Major A = M 82 im 18" Dobson (Manfred Kleisa, 2001).

 

In 60 Mill. Lj. erreichen wir Virgo A = M 87 im Zentrum des Virgohaufens. Über die "Galaxie mit dem Jet" ist hier erst kürzlich berichtet worden [12]. In etwa gleicher Entfernung steht Cetus A = M 77, eine der hellsten Seyfert-Galaxien. Der helle Kern ist bereits im 4 Zöller zu sehen, die schwachen Spiralarme erkennt man erst bei größerer Öffnung. Wir verlassen jetzt den Messier-Bereich und stoßen in 320 Mill. Lj auf Perseus A = NGC 1275, die hellste Galaxie im Perseushaufen Abell 426 (Abb. 6). Auf Ha-Aufnahmen zeigt sich eine ausgefranste, eruptive Struktur [6]. Die Seyfert-Galaxie beheimatet im Zentrum wahrscheinlich ein quasarähnliches BL Lacertae-Objekt. Visuell zeigt sich aber nur ein diffuser, runder Fleck - trotzdem ein bemerkenswertes Objekt, das bereits im 4 Zöller sichtbar ist. Spazieren wir etwas weiter zum nächsten großen Galaxienhaufen, dem Comahaufen Abell 1656. Steht Coma A im Zentrum? Nein, hier dominieren NGC 4874 und NGC 4889, beide bereits mit 8-10" sichtbar. Etwas abseits, und mit 15mag deutlich schwächer, befindet sich Coma A = PGC 43882. Hier müssen schon 16" ran, um die 350 Mill. Lj. entfernte, aktive Galaxie als diffuses Fleckchen zu zeigen (Abb. 7).

 

Abb. 6 - Perseus A = NGC 1275. CCD-Aufnahme von Bernd Flach-Wilken (2001).


Abb. 7 - Zeichnung von Coma A mit 20" Dobson (Wolfgang Steinicke, 2001).

 

Wesentlich dominanter ist Hydra A = MCG -2-24-7 im Zentrum von Abell 708 in 690 Mill. Lj. Eine typische "cD-Galaxie", was "core dominant" bedeutet. Mit V=13.5mag wieder leichte Beute für 8-10". Bei dieser Entfernung ein echt dickes Ding, das man sich mal ansehen sollte! Die umgebenden Galaxien sind dagegen echte Herausforderungen für große Geräte (Abb. 8). Eine weitere cD-Galaxie ist Cygnus A in 790 Mill. Lj., wohl eine der aktivsten und größten Galaxien überhaupt - die stärkste extragalaktische Radioquelle! Würde unsere Milchstraße sie nicht komplett "einstauben" (Stichwort: galaktische Absorption), so, wäre sie bedeutend heller - vielleicht was für 4 bis 6", und das bei der gewaltigen Entfernung! Ist Cygnus A gerade noch im 14 Zöller erkennbar (unter guten Bedingungen wohlgemerkt), so braucht man für Herkules A die volle Power eines 20 Zöllers (Abb. 9) - unter Alpenhimmel! Mit V=17.5mag ist wirklich nicht viel Staat zu machen. Herkules A = MCG 1-43-6 braucht ihr Licht aber nicht unter den Scheffel zu stellen, bedenkt man ihre gewaltige Entfernung von 1,8 Mrd. Lj. Auch hier ein Fall von "cD".

 

Abb. 8 - Hydra A im Zentrum von Abell 708. Links: Zeichnung mit 14" SCT (Wolfgang Steinicke, 1984); rechts: DSS-Bild.

 

Abb. 9 - Herkules A - ein extremes Objekt! Links: Zeichnung mit 20" Dobson (Frank Richardsen, 2001); rechts: DSS-Bild.



Damit beenden wir den Reigen der nördlichen Quellen, der Rest befindet sich am Südhimmel. Hier dominiert eindeutig Centaurus A = NGC 5128, eine der prächtigsten und nächsten aktiven Galaxien (Abb. 10). Ebenfalls bemerkenswert ist Fornax A = NGC 1316, eine helle "peculiar galaxy" im nahen Fornaxhaufen. Fehlen noch die Quellen in Pictor und Puppis. Pictor A ist eine gigantische elliptische Galaxie (mit M 87 vergleichbar), die sicher 18" erfordert. Gänzlich passen muß man aber beim ca. 4000 Jahre alten Supernovaüberrest Puppis A, außer man besitzt Radio bzw. Röntgenaugen [13]!

 

Abb. 10 - Eine der hellsten Galaxien am Südhimmel: Cen A = NGC 5128. CCD-Aufnahme mit ST-8 von Stefan Binnewies und Bernd Koch.


Ich glaube es war mal an der Zeit, etwas mehr über mysteriöse Bezeichnungen wie "Taurus A" oder "Cassiopeia A" zu erfahren. Zum Einen wird ihr Mythos mit einer schmucklosen Auflistung etwas entzaubert, zum Anderen zeigt sich aber, welch überaus interessante Objekte dahinter verborgen sind. Richtig spannend wird es, wenn man sieht, was es alles zu beobachten gibt! Zum Schluß mögen sich einige fragen: Was ist denn mit Leo A oder Sextans A? Gar nichts: Das sind Objekte aus der Lokalen Gruppe und deren "A" ist nicht unser "A"!

 

Tab. 1 - Daten der kosmischen A-Klasse (V = visuelle Helligkeit [mag], a x b = Ausdehnung [´], Dist = Entfernung [Lj]; weitere Erläuterungen im Text).


Quelle 3C opt. Objekt Typ Entdeckung Position (2000) V a x b Dist
And A   M 31 Galaxie Ryle 1950 00 42 44.3 +41 16 09 3.4 178 x 63 2,5 Mill
Cas A 3C 461   Supernova 1680? Reber 1944 23 23.4 +58 50   5 x 5 9100
Cen A   NGC 5128 aktive Galaxie Bolton 1948 13 25 27.6 -43 01 09 7.0 25.7 x 20.0 15 Mill
Cet A 3C 71 M 77 Seyfert-Galaxie Mills 1952 92 42 40.7 -00 00 48 8.9 7.1 x 6.0 60 Mill
Com A 3C 277.3 PGC 43882 aktive Galaxie Seeger 1957 12 54 11.7 +27 37 33 15.0 0.7 x 0.3 350 Mill
Cyg A 3C 405 MCG 7-41-3 cD Galaxie Reber 1944 19 59 28.3 +40 44 02 15.1 0.5 x 0.3 790 Mill
For A   NGC 1316 aktive Galaxie Mills 1952 03 22 41.7 -37 12 30 8.2 13.5 x 9.3 53 Mill
Her A 3C 348 MCG 1-43-6 cD Galaxie Ryle 1950 16 51 08.1 +04 59 33 17.5 0.3 x 0.2 1,8 Mrd
Hya A 3C 218 MCG -2-24-7 cD Galaxie Mills 1952 09 18 05.7 -12 05 44 13.5 0.7 x 0.7 690 Mill
Per A 3C 48 NGC 1275 Seyfert-Galaxie Mills 1952 03 19 48.1 +41 30 42 11.9 2.2 x 1.7 320 Mill
Pic A   ESO 252-18 aktive Galaxie Mills 1952 05 19 49.7 -45 46 45 15.8 0.5 x 0.3 450 Mill
Pup A      Supernova Bolton 1951 8 24.1 -43 00   50 x 80 6000
Sgr A      galakt. Zentrum Reber 1944 17 45.7 -29 00      27000
Tau A 3C 144 M 1 Supernova 1054 Bolton 1948 05 34 31.9 +22 00 52 8.4 8.0 x 4.0 6300
UMa A 3C 231 M 82 aktive Galaxie Hanbury Brown 1953 09 55 52.2 +69 40 47 8.4 11.2 x 4.3 12 Mill
Vir A 3C 274 M 87 aktive Galaxie Bolton 1948 12 30 49.3 +12 23 28 8.6 8.3 x 6.6 60 Mill 


Literatur

[1] Steinicke, W., Cygnus A - Beobachtung einer außergewöhnlichen Radiogalaxie, interstellarum 18, 26 (2001)

[2] Learner, R., Geschichte der Astronomie und die Entwicklung des Teleskops seit Galilei, Gondron Verlag 1991

[3] Spradley, J. L., The First True Radio Telescope, Sky & Telescope, July 1988, S. 28

[4] Tucker, A., Großbritanniens Beitrag zur Radioastronomie, Sterne u. Weltraum, März 1963, S. 52

[5] Ryle, M., Smith, F. G., Elsmore, E., A Preliminary Survey of the Radio Stars in the Northern Hemisphere, Mon. Not. R.A.S. 100, 508 (1950)

[6] Robert Burnham jun., Burnham's Celestial Handbook, Dover Publ. 1978; Vol. II, S. 517: Cas A, Vol. III, S. 1450: Per A

[7] Kamper, K., Van den Bergh, S., Cassiopeia A - An Unseen Supernova, Sky & Telescope, April 1976, S. 236

[8] Baade, W., B Cassiopeiae as a Supernova of Type I, Astrophys. J. 102, 309 (1945)

[9] Edge, D. O., et al., A Survey of Radio Sources at a Frequency of 150 Mc/s, Mem. R.A.S. 68, 37 (1959)

[10] Steinicke, W., Wie wär's mit der Nr. 1, interstellarum 17, S. 39 (2000)

[11] Stapper, N., Weselowski, G., CCD-Astrofotografie unter „urbanen" Bedingungen, VdS-Journal II/2000, S. 24 (Abb. 8)

[12] Richardsen, F., M 87 und ihr Jet visuell beobachtet, interstellarum 18, 50 (2001)

[13] Sky & Telescope, Sept. 1995, S. 11