Ist die visuelle Beobachtung überholt?

Wolfgang Steinicke

 

Mit der CCD-Kamera lassen sich heute "schnelle Bilder" schießen, der enorme Aufwand einer langbelichteten Aufnahme entfällt. Überdies: warum sich überhaupt in Kälte und Dunkelheit wagen, wenn doch per Internet oder auf CD-ROM alles an aktuellen Bildern und Daten leicht zu haben ist? Zum Thema "langbelichtete Aufnahme" und deren unübertroffenen Reiz kontra CCD könnte Lutz Bath sicher ausführlich Stellung nehmen - man staune nur über die Ästhetik seiner neuen Aufnahme vom Pferdekopfnebel, die von keiner CCD-Aufnahme auch nur annähernd erreicht wird! Ich möchte mich dem anderen Thema zuwenden: visuelle Beobachtung und Bilder/Daten im Internet bzw. auf CD-ROM.

Mein Artikel gliedert sich in zwei Teile. Um etwas vom Reiz der visuellen Beobachtung zu vermitteln, möchte ich zunächst meine Erlebnisse aus der Beobachtungsnacht am Schauinsland-Observatorium vom 8. März 1997 schildern. Der Wert der visuellen Beobachtung geht aber über das reine Erleben hinaus. Die Beobachtung ist trotz der Fülle bereits vorhandener Bilder und Daten nicht nutzlos, sondern sie kann mehr Ordnung in die Datenwelt zu bringen. Davon später mehr.

Beobachtungen mit dem C 14 am 8. März 1997 (siehe auch diesen neueren Bericht)

Endlich mal wieder eine vielversprechende Nacht. Es herrscht kaum Wind, die Luft ist ruhig und klar, Freiburg liegt zugedeckt im Dunst. Um 23 Uhr ist das C 14 einsatzbereit: 15-mm Okular ohne Zenitprisma montiert, die Nachführung läuft und der Handtaster funktioniert - welch' ein Segen! Zu dieser Jahreszeit sind eine Fülle von Galaxien zu sehen, vom Löwen über Coma Berenices und Virgo bis hinunter zum Raben und Becher. Auf dem - nicht sehr genau spezifizierten - Programm stehen insbesondere Galaxiengruppen aus meinem Doppelgalaxienkatalog (KDG), Quasare aus meinem Quasarkatalog (KHQ), Kugelhaufen und Planetarische Nebel.

Ich nutze die seltene Gelegenheit und beginne im Raben. Das Seeing ist trotz südlicher Deklination hervorragend. Die "Antennen" (NGC 4038 und NGC 4039, KDG 111) sind ein enges, wechselwirkendes Galaxienpaar. Gut zu sehen sind die hellen, amorphen Kernbereiche, in denen ich deutlich Strukturen erkenne. Die eigentlichen Antennen, lange schwache Filamente, in entgegengesetzte Richtungen startend, sind nur photographisch zu erfassen. Ganz in der Nähe im Zentrum des Raben-Vierecks liegt NGC 4361, ein heller planetarischer Nebel (10m.3) mit einer diffusen, runden Scheibe von 45" und einem hervorstechenden Zentralstern (12m.9). Etwas westlich vom Sombreronebel (M 104), dessen Staubrand den Galaxienbauch messerscharf durchtrennt, liegt das enge Galaxienpaar NGC 4782/4783 (KDG 161). Die Kerne sind nur 42" voneinander getrennt und deutlich sichtbar. Südlich von Beta Corvi, bei -28° findet man den weit aufgelösten Kugelhaufen M 68, einen seltenen Gast. Nebenan im Sternbild Becher gehe ich noch auf Quasarjagd. Das Objekt heißt PG 1149-111 (= KHQ 94), ist 15.5mag "hell" und 620 Millionen Lichtjahre entfernt - für Quasare recht nahe!

 

In der Hydra liegt der "Geist von Jupiter" (NGC 3242), ein 40" großer, blau leuchtender Planetarischer Nebel, der mich eigentlich nicht an Jupiter erinnert. Südlich von Alphard findet man das wechselwirkende Galaxienpaar NGC 2992/2993 (KDG 75). NGC 2992 ist bekannt wegen seiner Nähe zum Quasar Weedmann 2 (Abb. 1). Für Halton Arp ist dies ein Beispiel für die "lokale Hypothese", nach der Quasare mit hoher Geschwindigkeit von aktiven Galaxien ausgestoßen werden und damit nicht in kosmologischen Entfernungen stehen. Falls das stimmt, wäre die Standard-Kosmologie am Ende. Das Objekt ist mit 17m zu schwach für das C 14, trotzdem spürt man, einen bedeutsamen Ort zu beobachten.

Abb. 1 - Galaxienpaar NGC 2992/2993 und der Quasar Weedman 2

 

Das interessanteste Objekt im Sextant ist sicherlich die "Spindel-Galaxie" NGC 3115 (10.1mag), das Standard-Objekt zum Hubble-Typ S0. Eine flache Linse mit hoher Flächenhelligkeit - visuell ein Genuß! Weiter zu NGC 4565 in Coma Berenices, der "Mutter" aller "edge-on" Galaxien. Mit 14,8' x 2,0' ein Riesending und 10.3mag hell. Weniger bekannt ist die 13,5' entfernte Galaxie NGC 4562 (14.4mag). Mit 2,4' x 0,7' ebenfalls in Kantenstellung zeigt sie, im rechten Winkel zu NGC 4565, genau auf deren Kern - ein interessantes Bild (Abb. 2)!

 

Abb. 2- Galaxienpaar NGC 4562/4565 (siehe auch hier)

 

Bis etwa 2 Uhr habe ich 30 Galaxien, 7 Kugelhaufen, 2 Planetarische Nebel und einen Quasar beobachtet. Hier noch zwei Highlights: in den Sternbildern Coma Berenices und Bootes gibt es zwei visuell extrem schwierige Kugelhaufen, NGC 5053 bzw. NGC 5466. Beide haben aufgrund ihrer lockeren, aufgelösten Struktur eine sehr geringe Flächenhelligkeit. NGC 5053 ist ein "Begleiter" des hellen Kugelhaufens M 53. Westlich des überagenden Kugelhaufens M 3 liegt NGC 5466, ein noch schwierigerer Kandidat. Beide Objekte konnten klar aufgelöst werden, sogar im Zentrum waren Einzelsterne zu sehen. NGC 5053 habe ich kürzlich auch mit dem 12,5" Dobson beobachtet. Bei der Analyse der Beobachtungsnacht (mit Hilfe meines Astroprogramms CAT2000) ist mir noch aufgefallen, daß sich 20' südwestlich von NGC 5466 noch ein heller Quasar befindet (Markarian 668, 15.4mag), den ich mir beim nächstenmal vornehmen werde.